23. November 2007

Liebe Netzlerner!

Danke für den interessanten Rundbrief mit der Info. Leider habe ich den Bericht bei Stern TV nicht gesehen.

Wir haben hier gerade einen Fall aus Hessen, der Sie vielleicht auch interessiert, gerade in Hinsicht auf das aktuelle BGH Urteil. Es geht darum, wie schnell und unbürokratisch mit Unterstützung des zuständigen Schulamtes die Schulpflicht ausgesetzt wird, wenn ein Kind im Unterricht stört. Das ist bereits der zweite Fall dieser Art aus diesem Schulamtsbezirk, von dem wir Kenntnis haben.             

Die Eltern eines achtjährigen, Grundschülers eine zweiten Klasse mit guten Leistungen, wurden am 14.6.2007 (Freitag) zum ersten Mal benachrichtigt, dass ab dem darauf folgenden Montag die Schulpflicht mit sofortiger Wirkung ruhe. Dies erfolgte nach Absprache mit dem Staatlichen Schulamt für zwei Wochen, weil sich das Verhalten des Kindes nicht gebessert habe. Begründet wird diese Maßnahme mit den Vorwürfen: „Er stört den Unterricht permanent durch Belästigung seiner Mitschüler durch unflätige Worte, Boxen, Schubsen, angebliches Wegnehmen von Sache. Er kippelt, schiebt den Tisch, zieht anderen Kindern den Stuhl weg, rülpst laut, singt, u.v.m.“ Die Beobachtungen der Eltern und der Psychologin zeigen etwas anderes: Das Kind kann machen was es will, es ist der Sündenbock. In der Schülerakte ist jedes kleinste Vergehen akribisch festgehalten: A. hat seinen Kakao verschenkt, A. hat seinen Kakao verschüttet, A. hat sich in der Pause gestritten, A. hat in der Pause ein Kind angerempelt…Der Junge saß wochenlang während der Unterrichtspausen allein in der Pausenhalle, ohne dass die Eltern offiziell darüber informiert wurden. Die besorgte Mutter hatte Hausverbot und durfte die Schule nicht mehr betreten. Ihr Widerspruch wurde vom staatlichen Schulamt kostenpflichtig zurück gewiesen.

Im April 2007 erfolgte ein Schulwechsel, um die Schulsituation des Jungen zu verbessern, aber die aufnehmende Schule integrierte weder das Kind noch dessen Eltern. Wichtige Informationen für den allgemeinen Schulbetrieb sowie für den Unterricht (z.B. Liste der benötigten Arbeitsmaterialien usw.) wurden sowohl durch die Schulleiterin wie auch durch die noch junge Klassenlehrerin vorenthalten. So wurde die besorgte und um Zusammenarbeit bemühte Mutter schnell wieder lästig, ja seitens der Schule verweigerte man sich regelrecht einer Zusammenarbeit und somit auch der  hessischen Schulgesetzgebung. Nachdem die Eltern EMGS eingeschaltet hatten wurde versucht, zwischen den Parteien zu vermitteln. Von  Schulseite wurde sich jedoch nie an gemeinsame Abmachungen gehalten. Bei ihrem letzten Gespräch mit der Schulleitung und der Klassenlehrerin am 14.08.2007 wurden die Eltern von einem Mitglied von EMGS begleitet. Bei diesem Gespräch erfuhren die Eltern ganz beiläufig, dass in der zweiten Woche nach den Ferien eine Klassenfahrt stattfindet. Die Klassenlehrerin erklärte darüber hinaus, dass sie nicht bereit ist den Jungen auf diese Klassenfahrt mitzunehmen. In einem nachfolgenden Schreiben wurde der Mutter anschließend vorgeworfen, dass sie nicht wolle, dass ihr Kind mitfährt, und sie ihrem Sohn somit eine besondere Möglichkeit der Integration in die Klasse vorenthalte. Der Junge verbrachte während der Klassenfahrt wieder eine Woche zu Hause, auch wieder ohne jegliche Klassenkonferenz oder Anhörung der Eltern. Die angekündigten Arbeitsmaterialien für eine „Beschulung zu Hause“ wurden trotz mehrfacher Zusagen nicht ausgehändigt.

Der Junge hat gute Noten, obwohl er viele Stunden vor der Klassentür verbrachte  oder in andere Klassen strafversetzt war. Er scheint sich zu langweilen. Darüber hinaus haben laut schriftliche Feststellung der Schulleiterin seine „Probleme eindeutig psychische Ursachen“ und den Eltern wurde empfohlen, schnellstens für eine Therapie zu sorgen. Alle bis jetzt kontaktierten Stellen bescheinigen dem Jungen Normalität und beschreiben sein Verhalten als das eines typischen Jungen. Er rebelliert aber anscheinend gegen seine Sündenbockfunktion. Momentan läuft eine erneute Diagnostik bei einer Psychologin, deren Feststellungen in Richtung einer emotionalen Störung tendieren (u. a. fehlendes Selbstwertgefühl) Wen wundert das bei den Erfahrungen, die dieses Kind machen musste? 

Seit dem 08.10.2007  ruht die Schulpflicht durch eine Verfügung des zuständigen Schulamtes erneut . Bis heute gibt es den für sechs Stunden pro Woche angekündigten  Hauslehrer nicht, und erst nach mehrfachem, zuletzt sehr eindringlichem Anmahnen war die Schule bereit, das Kind, wie vom Staatlichen Schulamt angeordnet, einmal wöchentlich mit Hausaufgaben zu versorgen. Die Mitarbeit der Lehrer lässt allgemein zu wünschen übrig. An einer zufriedenstellenden  Lösung für das Kind hat man dem Anschein nach keinerlei Interesse. Auch der Antrag auf Versetzung in die Parallelklasse, die von einem Lehrer unterrichtet wird und der mit dem Jungen keine Probleme hat, wurde  von Schule und Schulamt abschlägig beschieden.

Bei der Anhörung am 02.10.2007 im staatlichen Schulamt zum Ruhen der Schulpflicht waren neben den Eltern ein Vertreter von EMGS und eine Anwältin zugegen. Trotzdem werden die dort getroffenen Vereinbarungen und per 08.10.2007 verfügten Maßnahmen wie Hauslehrer, Unterlagen nach Hause etc. nicht durchgeführt, man boykottiert seitens der Schule und das Schulamt duldet dies. Zwischenzeitlich sind sowohl Klage gegen das Ruhen der Schulpflicht wie auch Dienstaufsichtsbeschwerden gegen alle involvierten Personen des Schulamtes und der Schule eingereicht. Die Kultusministerin wurde ebenfalls vor 3 Wochen informiert, bis jetzt gab es aber keine Reaktion.

Dieser Fall ist ein Beispiel für das komplette Versagen des Systems. Ein funktionierendes Unterstützungssystem gibt es nicht, weder für den Schüler, noch die Eltern, noch für die überforderten  Lehrer.  Auch die überforderte Klassenlehrerin braucht dringend Unterstützung.
Unser Ziel war es, für das Kind und die Lehrerin eine zufriedenstellende Situation herzustellen, doch seitens der Schule und des Schulamtes wurde hier keine Bereitschaft signalisiert, im Gegenteil, man ist bemüht, das Kind „loszuwerden“.
Gerade haben wir noch von einem dritten neunjährigen Grundschüler aus dem gleichen Schulamtsbezirk erfahren, bei dem die Schulpflicht auch ruht, wieder ohne große Formalitäten. Die Schulpflicht ist in Hessen nur dann ‚heilig‘, wenn Eltern dagegen verstoßen.

Viele Grüße
D.C.

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