1. Dezember 2007

Prämiert in Kanada – hier Sorgerechtsentzug

Homeschooling. Das kennen Sie, werden Sie sagen.

„Kindern das Gemeinschaftserlebnis Schule vorzuenthalten, sie abzuschotten von der Welt und nur mit den eigenen Ideen zu infiltrieren, ist falsch. Kinder haben ein Recht auf Schule, auf Klassenfahrten und auf Gemeinschaftserlebnisse.“ Solche Sätze sind richtig, verfehlen aber das Thema.

Dieser Eindruck musste entstehen, als die Medien anfingen, über einige spezielle Fälle der Schul- und Unterrichtsverweigerung oder religiösen Eifer in Deutschland zu berichten. Nach vielen Jahren eingehender Beschäftigung mit den Lernbedingungen der verschiedenen Arten der nicht an Institutionen gebundenen Bildung habe ich einen wesentlich differenzierteren Blick gewonnen.

In diesem Artikel sollen einige geistige Barrieren beleuchtet werden, die die Legalisierung von Homeschooling in Deutschland behindern.

Zunächst allein dieser Anglizismus, der vielen ein Dorn im Auge ist.

Viele Versuche wurden unternommen, den weltweit eingebürgerten Begriff „Homeschooling“ in die Sprache eines Landes zu übersetzen, in dem Schulpflicht als Schulzwang herrscht.
Eine adäquate Übertragung des internationalen Begriffs "Homeschooling" ist vielleicht „Selbststudium im Schulalter“. Mit Homeschooling wird ausgedrückt, dass Lernende im Schulalter, ob mit oder ohne Unterricht, teilweise oder völlig ohne Schulinstitutionen auskommen. Weniger liegt der Fokus auf "Home", was im Deutschen mehr mit "Zuhause" oder schlimmer mit "Heim" übersetzt wird, statt im Kontext betrachtet mit der Bedeutung von "Selbst-" oder "Auto-" gesehen werden sollte. Auch der Wortteil "schooling" sollte nicht 1:1 in das Deutsche übertragen werden, schon gar nicht mit "Schule". Schule wird traditionell in Deutschland immer als Institution verstanden und ist damit genau das, was Homeschooling nicht meint. "schooling" ist denn auch mehr Ausdruck des Sich-Bildens. Kurzum: Solange es im Deutschen keinen prägnanten Begriff gibt, der alle Formen der institutionsfreien Bildung im Schulalter abdeckt, ist der international bekannteste Begriff "homeschooling" als Oberbegriff am griffigsten.

Warum neue Bildungsansätze? Es gibt doch Schulen.

Das Phänomen des Homeschooling hat viele Wurzeln. Dass es – wie übrigens auch in Schulen – Erwachsene gibt, die ganz bestimmte Entwicklungen ablehnen oder gefördert sehen wollen, soll nicht verleugnet werden. Sicherlich reflektieren manche, gern einseitig ausfallende Berichte über Eltern, die einzelne Unterrichtsinhalte wie z.B. Evolutionslehre oder Schwimmen ablehnen, einen Teil der nicht zu leugnenden Wahrheit über die Hinwendung zu einer Form des Homeschooling in Deutschland. Wesentlich plausiblere Motive für Homeschooling gibt es en masse. Waren es in Flächenländern wie USA, Kanada oder Australien die räumlich schwer erreichbaren Institutionen, wird es z.B. mittlerweile auch in Deutschland immer schwieriger, eine finanziell und räumlich gut zu erreichende Schule des Vertrauens zu finden. Zunehmende Sparzwänge, konsequente Schulzusammenlegungen, die als Gemeinschaftsschulen getarnt und angepriesen werden, oder auch dramatisch schwindende Bevölkerungszahlen wie in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern führen zwangläufig zu anonymen Lehranstalten, die keiner Kindheit mehr würdig sind.
Es wurden und werden auch immer mehr Sonderfälle bekannt, wo Kinder und Jugendliche mit dem vorhandenen Schulangebot einfach nicht zurechtkommen. Denken Sie z.B. an Mobbing oder Kinder mit Hochbegabung, ADHS, Schulangst, starke Mobilität der Eltern, Einschränkungen wie Dyskalkulie oder starke Legastenie. Fast täglich erreichen mich Emails von solchen Kindern oder deren Eltern. Viele dieser Briefe ließen mich erschaudern und es ist zum Verzweifeln, dass es bisher keinerlei Lösung oder Alternative für diese Familien in unserem Land gibt.
Als starke Wurzel des Homeschooling möchte ich aber den dem Menschen näheren Bildungsansatz herausgreifen, über den sich Eltern weltweit zunehmend Gedanken machen.
Bei allem Getrommel der Schulbürokratie und Bildungslobby für professionelle, verbesserte Lehrmethoden, Schulformen und Strukturen wird oft die Subjektstellung unserer Kinder missachtet. Bildung wird traditionell vermittelt und nicht aktiv erworben. Kinder werden (passiv) gebildet und „beschult“ statt dass sie sich bilden. Vor lauter Testungen, Erhebungen, Beurteilungen und Prüfungen bleibt dem heranwachsenden Wesen immer weniger Zeit zur individuellen Entfaltung und zu ganz praktischen Lebenserfahrungen.

Zum Erhalt hoher Motivation bedarf es Vertrauen. Menschliche Nähe und starke Beziehungen sind der Schlüssel zu sinnstiftendem und erfolgreichem Lernen. Positive emotionale Bindungen zu erwachsenen Bezugspersonen können in Schulen immer weniger geboten werden. Aber beim Homeschooling sind es Initiativen oder einzelne Eltern, die die notwendige Zeit ihren Kindern persönlich zu geben bereit sind. Kinder behalten ihr Interesse, ihre Lernfreude und die natürliche Neugier. Viele Kinder und Jugendliche könnten in ihrer Reifung sehr profitieren, wenn sie Möglichkeiten der nicht (immer) an Institutionen gekoppelten Bildung mit ihnen nahestehenden Erwachsenen hätten. Selbst in Formen des Homeschooling, in denen kein bißchen Unterricht gegeben wird (keine Angst, gelernt wird manchmal umso mehr) verbergen sich laut internationalen Studienergebnissen Chancen für sehr gute Bildung, womit hier allgemein psychosoziale, charakterliche wie auch akademische Fähigkeiten gemeint sind.

Die prekäre Lage des öffentlichen Schulsystems, in der sich übrigens auch die relativ wenigen Privatschulen befinden, ist, Kindern nicht ausreichend Spielraum und natürliche Lebenswelt bieten zu können. Es ist einfach eine völlig andere Art zu Lernen und sich zu entfalten, wenn man nicht für Lehrer und Klassenarbeiten am nächsten Tag lernt, sondern für sich und sein Leben (motivierende, individuelle und anregende Bezugspersonen vorausgesetzt).

Nun zu den Inhalten. Was Bildung einmal war, wissen wir. Was aber bedeutet Bildung heute? „Ehrfurcht vor Gott zu wecken“, wie es die Gründungsmütter und -väter noch in die Präambel der nordrhein-westfälischen Verfassung schrieben, ist als „das höchste Erziehungsziel“ längst passé. Wer also bestimmt, was gute Erziehung und Bildung ist? Wer definiert, was sie zu sein hat? Immer weniger Bedeutung kommt der reinen Wissensvermittlung zu. Soziale Verantwortung und je nach regierungsamtlichem Gusto ökologisches Bewusstsein und politisches Interesse sind wichtig. Jedenfalls wertfrei und „objektiv“ soll Bildung, ergo Schule sein. Eine andere Quelle für Bildung kann und darf es aus Gründen der Gerechtigkeit für gleiche Startbedingungen nicht geben. Diese soll kostenfrei sein – ist sie längst nicht mehr. Schulgeld und Nachhilfe verschlingen bare Mittel – von Fahrtkosten ganz zu schweigen. Und Spaß soll Schule machen – im kritischen Alter zusammengerechnet sogar 40 Sunden die Woche lang. Eltern wie Staat hätten gerne sozial verantwortliche, mündige neue Bürger, die fähig werden, selbstbestimmt ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Kinder werden selten gefragt – wollen all das aber in der Regel ganz von allein, wenn Mama oder Papa es vormachen können.

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