17. Oktober 2008

Homeschooling: Wenn nicht hier und jetzt, dann eben dort und dauernd

Die starre, deutsche Schulpflicht mit als obligatorisch erachtetem Schulbesuch (Ortsgebundenheit) und seinen nicht nur theoretischen Zwangsmaßnahmen (Schulzwang seit 1938) hat in der Bevölkerung immer mehr Kritiker. Kinder und ihre Eltern leiden zunehmend darunter. Einerseits stagnieren Schulsystem und seine Prinzipien - bestenfalls. Die Bedingungen und Ansprüche in der Gesellschaft dagegen verändern sich extrem. Antidiskriminierung, flexible und individuelle Förderung, Mobilität oder Selbstbestimmung beispielsweise sind Faktoren, die dem überkommenen Schulsystem entgegenstehen und immer wichtiger werden. Die beiden Hauptsäulen nachhaltiger Bildung, persönliche Beziehungen und reale, treffende  Lebensbezüge, waren eigentlich noch nie die tragenden Teile unserer zunehmend maroden Schulen.

Was also tun in einem am grünen Tisch und von Bürokraten dominierten System, wenn man Kinder hat und das beste für sie will? Alle Eltern, die man fragt, sind in irgendeiner Weise unzufrieden, wenn nicht sogar erbost. Als angepasst und "gut" sozialisiert steht aber kaum jemand dagegen auf. Auszusteigen wäre nicht auszudenken. Es wäre ja auch verboten, nicht wahr? 

Solange man sich im Ausland aufhält, hat die deutsche Schulpflicht keine Macht. In quasi jedem Ausland gibt es selbstverständlich auch die üblichen schulischen Lösungen (Ausnahme: Vatikan). Diese können als Internat oder Ganztagseinrichtung, streng und mit Uniform, mitunter deutlich repressiver für Schüler ausfallen als hierzulande. Daneben gibt es um der Flexibilität und des Elternrechts willen auch andere Formen der Bildung, die zur freien Wahl gestellt werden müssen. Man kann in diesem Zusammenhang beruhigt davon ausgehen, dass auch in Deutschland schulfreie Bildungskonzepte ermöglicht werden müssen, wenn als schulisches Angebot ansonsten nur noch eine Ganztags-Einheitsschule übrig bleibt. Schon die Erziehungshoheit der Familie würde dies auch juristisch ergeben.

Für Deutsche auf deutschem Boden soll den Fans des Schulzwangs zufolge jedes Modell der schulfreien Bildung (international vereinfacht Homeschooling genannt) als Kindeswohlgefährdung gelten. Sobald man das Ausland erreicht, kann Homeschooling endlich zum Wohl des Kindes dienen. Das ist die Krux, die es Eltern für ihr Kind zu überwinden gilt.

Außerhalb Deutschland gibt es flexible, staatlich ungebundene Schulen. Anwesenheitszeiten können individuell vereinbart werden. Weiter gibt es Familieninitiativen, Kooperationen zwischen Eltern und Schulen, Nachbarschaftsorganisationen, verschiedenste Fernschulen und Bildungsfreiheiten ganz ohne Organisation oder Einrichtung. Jugendliche, bzw. Eltern für ihre Kinder haben viele Möglichkeiten, denn nur sie kennen genau ihren Bedarf. Im Ausland am kompatibelsten zum deutschen System, zum Beispiel für den Fall der Notwendigkeit eines deutschen Schulabschlusses oder eines späteren Lebens in Deutschland wäre wohl eine deutschsprachige, in Deutschland anerkannten Fernschule. Die sind aber rar. Sie sind für Kinder mit Wohnsitz in Deutschland (zur Erfüllung der Schulpflicht) nicht zugelassen. Genau diese Anerkennung wäre übrigens vielleicht der erste Schritt zur offiziellen Lösung des deutschen Homeschooling-Dilemmas. Das ist jedoch Zukunftsmusik. Deutsche Fernschulen sind gehalten, ihre betreffenden Dienste keinem anzubieten, der einen Wohnsitz hier hat.

Für Deutsche im Ausland hingegen wird Fernunterricht vom auswärtigen Amt unterstützt und sogar empfohlen. Informationen dazu lassen sich im Internet auf Regierungsseiten und z.B. auch bei den Fernschulen selbst finden.

Es wird auf diesen Seiten darauf hingewiesen, dass "schulbefreite" Kinder sogar in Deutschland teilnehmen können, wie auch immer dieser Fall erreichbar ist. Die Kosten sind dann allerdings ungleich höher. Das Institut für Lernsysteme (ILS) in Hamburg beispielsweise bekommt/bekam erhebliche Zuschüsse vom Bund für die im Ausland lebenden deutschen Kinder. Das Bundesministerium für Bildung und Familie (BMBF) hat sich auch an den Kosten für die Entwicklung des Programms beteiligt.

Schulbefreit sind z.B. Asylanten, manche Promis (siehe Kaulitz von TokioHotel), Extremstverweigerer, Ausgeschulte, Expatriots, Besucher oder Urlauber. Normalerweise kann Schulbefreiung für ein Jahr ausgesprochen werden für ein Auslandsjahr, wegen Mutterschaft oder vorübergehenden Verzugs der Familie. Eine Familie, dessen hochbegabtes Kind (engl.: underachiever, wörtl. etwa: Unterschreiter) in einer Hauptschule gelandet war, nachdem die Leistungen immer mehr abgefallen waren, wurde, natürlich auf Antrag, von der Bürde des Schulbesuchs befreit. Damals hat der Rektor der Hauptschule das Kind kurzerhand für ein Jahr beurlaubt, damit die Mutter zur Förderung ihres Sohnes freie Hand hätte. In vielen Bundesländern (vielleicht sogar in allen) darf eine Schulleiterin/ein Schulleiter auf eigene Verantwortung eine Beurlaubung bis zu einem Jahr aussprechen. Es gibt da wohl aber einen gewissen Ermessensspielraum. Im beschriebenen Fall war dieser Rektor sogar positiv eingestellt. Er war froh, dass das Kind so eine Chance bekam, die in seiner Schule niemals möglich gewesen wäre. Auch andere legale oder grauzonige Lösungen und Zeiträume sind bekannt geworden, für die ein Rektor oder manchmal auch ein Schulamt dann gerade steht. Wo kein Kläger, da kein Richter. Natürlich sind das alles absolute Ausnahmen. Diese Geschichten gewähren einem aber den Hoffnungsschimmer, dass es hin und wieder noch Menschen gibt, bei denen das wirkliche Kindeswohl im Mittelpunkt steht. (JE für SFeV)

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