17. Oktober 2008

Interessante Links zu Bildungsfreiheit (Ausg. #44)

Von seiner Schule vergrault
Fittester IT-Lehrer ist keiner mehr
Der Magdeburger Olaf Kleinschmidt bekommt einen Preis als bester Computerpädagoge. Allerdings hat er sich bereits beurlauben lassen, weil Schulen ihm zu träge sind. ...
Er hat ein mit viel digitaler Technik gestütztes Programm fürs Fernlernen entwickelt. Dafür bekommt er am Montag einen von Bill Gates ausgelobten Preis der IT-Wirtschaft...
"Andere Schulen verbieten Handys, wir teilen sie an die Schüler aus!", lautet Kleinschmidts Slogan. Zeitversetzt können die Schüler sogar am Unterricht teilnehmen. Ihre Klassen in Magdeburg notieren die Tafelanschriebe auf so genannten Tablett-PCs - so werden sie elektronisch gesichert. Und können von den Mitschülern überall auf der Welt über die Fernlernseiten des Sportgymnasiums abgerufen werden. Kleinschmidts Projekt heißt "moUnt", das steht für "mobiler Unterricht". ...
Eine Unternehmensgruppe aus der IT-Branche sieht Kleinschmidt sogar schon als neues Rollenmodell für die deutsche Lehrerschaft, die bislang mit Computern, E-Learning oder digitalen Unterrichtsformen wenig am Hut hat. ...
Ihm ging es mit dem Einsatz von IT für den Unterricht nicht nur ums Fernlernen. Die ganze digitale Technikspielerei ist für ihn nur ein Hilfsmittel, um zum selbstbestimmten Lernen zu kommen. Kleinschmidts Ziel ist nicht, möglichst viele Computer in die Schulen zu holen, sondern das Lernen 2.0 möglich zu machen - also die Nutzung des Internets, um individuell und gemeinsam neues Wissen zu kreieren.
"Lernen muss selbstgesteuert und unabhängig von Ort und Zeit möglich sein", sagt Kleinschmidt. "Das geht am besten mit Computern, die eine bessere Form der Aktivierung, Rückkopplung und emotionalen Steuerung des Lernens möglich machen."
Kleinschmidt geht der Schule nicht komplett verloren. Er betreibt eine Firma für mobile IT-Lösungen und zusammen mit Schülern "online-lernhilfe.de". Dennoch ist Kleinschmidt ein Symbol dafür, wie wenig bereit das Schulwesen für andere Unterrichtsformen ist. Es hat seinen fittesten IT-Lehrer vergrault.
Quelle: taz vom 12.10.2008


Aufstehen! Zwölf Jahre Schule sind noch zwölf Jahre zu viel.
Wie fülle ich eine Steuererklärung aus? Wie bestelle ich auf Englisch eine Bratwurst? Was ist Glück? Kann man Kartoffeln in der Mikrowelle garen? Wa­rum kann man tun, was man will, aber nicht wollen, was man will? Wann erschien die erste Platte der Ramones? All das wissen wir nach der Schulzeit immer noch nicht, egal ob sie zwölf oder 13 Jahre währt. Und wenn sie 20 Jahre dauer­­te, man wäre diesbezüglich nicht klüger, denn Gymnasiasten sollen Integrale berechnen, Amöben zeichnen und Carbonsäuren in die richtige Stoffgruppe einordnen. Dinge also, die man, sollte man sie eines Tages brauchen, innerhalb von Sekunden ergoogeln oder auf dem Taschenrechner ausrechnen kann. Immerhin hat man nach all den Jahren vielleicht die »Blechtrommel« gelesen und den »Fänger im Roggen«. Okay, manche lernen Häkeln.

Alles, was ich an Bildung und Wissen in meinem Leben bisher gebraucht habe, habe ich nicht in der Schule gelernt. Nicht einmal das Lesen – das verdanke ich der Sesamstraße. Und was ich in der Schule gelernt habe, habe ich vergessen, fast ausnahmslos. Nur die Glaziale Serie und die Erdzeitalter kann ich noch auswendig, dank eines Nazi-Lehrers, der das in jeder Stunde abfragte. Auch in 13 Jahren habe ich nur rudimentäre Einblicke in die Geschichte der Menschheit erhalten, für ganze Jahrtausende war schon damals keine Zeit. Ich kann auch nicht rechnen. Ich hatte zwei Mathelehrer, die versucht haben, mich zu motivieren. Der eine sagte immer: »Du musst dir nur sagen: ›Ich will!‹«, der andere versuchte es mit philosophischen Analogien: »Eine Gerade ist selten interessant, das ist im Leben ja auch nicht anders.« Das leuchtete mir zwar ein, hat mir aber auch nicht geholfen.
Irgendwas muss faul sein an der Schule, wenn man in neun Jahren Englischunterricht weniger lernt als in einem vierwöchigen Crashkurs, den man freiwillig besucht. Wenn man bei Guido Knopp mehr über Hitler erfährt als im Ge­schichts­­­unterricht. Wenn man auch nach dem Abitur und dem Hochschulabschluss noch Texte an die Redaktion schickt, in denen kein einziger Konjunktiv stimmt.
Nun kann man sagen, die Schule vermittle ja nicht nur Wissen, sondern auch soziale Kompetenz. Stimmt. Ich war ein äußerst selbstbewusstes, in mancher – zugegebenermaßen nicht jeder – Hinsicht frühreifes Kind, das mit acht Jahren schon 1. Vorsitzender eines Tierschutzvereins war. Als ich dann aufs Gymnasium kam, steckten mich die anderen Kinder in der Großen Pause in die Mülltonne, ich musste nach Schulschluss war­ten, bis die anderen weg waren, bevor ich mich nach Hause traute. In den letzten vier Jahren mei­ner Gymnasialzeit habe ich es aber tatsächlich ge­schafft, mich wieder aufzurichten und am Ende wieder der unbeschwerte, selbstsichere Mensch zu sein, der ich vorher einmal war. Sogar Schüler­spre­cher wurde ich schließlich – es war reine Not­wehr!
Der schulkritische Autor Dieter Heckenschütz berichtete, dass seine Versetzung einmal am Verdauungsapparat der Hydra gescheitert sei. Statt 13 dauerte seine Schulzeit deshalb 14 Jahre. Eine Hydra sei ihm später, schrieb er 40jährig, »nicht ein einziges Mal begegnet«. Das Gymnasium, argumentierte Heckenschütz, diene lediglich dazu, die Tickets für die Universität zu vergeben. Nicht möglichst vielen Menschen eine gute Bildung zu ermöglichen, sondern im Gegenteil möglichst viele auszusieben, sei seine Aufgabe. Weil immer mehr Jugendliche an die Universitäten strebten, würden die Anforderungen immer höher geschraubt, damit es letztlich weniger schaffen. Das mag derart verkürzt falsch sein, weist aber dennoch auf das wesentliche Problem hin: Der tatsächlich enorm gestiegene Leistungsdruck ist gewollt und nicht etwa ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der Schulzeitverkürzung.
Unbestreitbar ist Bildung eine der wichtigsten Voraussetzungen des Menschen, die ihn zu Unabhängigkeit und Kritik befähigt – die Frage ist nur, was das mit der Schule zu tun hat. Seit über 20 Jahren werden an Schulen und Universitäten kontinuierlich die Lehrpläne umgestaltet. Geisteswissenschaften werden ab-, Naturwissenschaf­ten ausgebaut. Nicht die Befähigung selbst zu denken, ist Schulziel, sondern die Zurichtung für den Markt. Wenn diese Zurichtung kürzer dauert, ist dies gut und nicht schlecht.
Als Argument gegen die Verkürzung der Schulzeit wird angeführt, dass sie dazu diene, die Men­schen schneller dem Arbeitsmarkt, sprich ihrer Verwertung zuzuführen. Das muss aber nicht sein. Man könnte das Jahr genauso gut vorne wegstreichen und die Kinder einfach später einschulen. Ein Jahr länger eine unbeschwerte Kindheit zu haben, wäre doch auch schön.
Quelle: Jungle-World am 20.08.2008


Bildungsgipfel
Abschied von der Paukerschule
Hartmut von Hentig stellt dem Bildungsgipfel zehn Aufgaben ...
10. Allen am Bildungsgipfel Beteiligten ist zu wünschen, dass sie einmal ihre Schreib- und Konferenztische tatsächlich für einen Monat verlassen und sich je zu einem Drittel der Zeit an kreuznormalen Schulen, an Krisenschulen, an Schulen im Aufbruch aufhalten, möglichst zwei ganze Tage an einer - mit ausgiebiger abendlicher Aussprache in der Schulgemeinde. Sie kennen
ihre Schulen nicht wie sie sind, sondern wie sie ihnen von Journalisten, Lobbys, Forschergruppen, Anklägern und vortragenden Beamten geschildert werden. Sie würden ernüchtert und ermutigt heimkehren und entweder schneller zur Einigung untereinander kommen oder über die richtigen Aufgaben streiten.
Quelle: Frankfurter Rundschau am 13.10.2008
... Noch mehr Familien sind wegen Verfolgung aus Deutschland geflohen. Familienrichter und Jugendämter waren bereit und willig, Kinder aus der Obhut ihrer Eltern zu nehmen, schlicht weil sie Homeschooling betrieben. ...
Kathy Sinnoth, eine irische Europa-Parlamentarierin, kritisierte Deutschlands Umgang mit Homeschooling und wie das Jugendamt dort in Deutschland lebenden Nichtdeutschen behandele. In einem kürzlichen Presseartikel sagte Sinnot: "Deutschlands Verfahren gegenüber Homeschooling kompromitiert dieses \[Europäische Mobilitätsgesetz\] und zwingt Familien zwischen Job und den besten Interessen für Kinder zu wählen. Der Bedarf an familienfreundlichen Arbeitsbedingungen muss innerhalb der ganzen EU anerkannt werden. Wir brauchen Flexibilität bei der Erziehung und Bildung für Kinder, die wegen einer Arbeitsstelle nicht permanent an einem Ort wohnen. Und da ist ein Handlungsbedarf wegen dem Verhalten gegenüber nichtdeutschen Familien bei den deutschen Familiengerichten. Ich hoffe, dass der Dialog zwischen der Kommision und der deutschen Regierung diese diskriminierende Situation lösen wird."
Quelle: Financial Blog am 15.10.2008 (engl.)
Hier lernen die Schüler mit Wut im Bauch
An der Schimper-Realschule ist seit dem vergangenen Freitag nichts mehr, wie es einmal war. An diesem denkwürdigen Tag stehen die Klassenzimmer plötzlich wie auf Kommando leer – rund 700 Schüler stellen geschlossen das Lernen ein und boykottieren den Unterricht. ...
Diese Aktion ist der vorläufige Höhepunkt einer negativen Entwicklung, die – glaubt man Schülern und Lehrern – allein Schulleiter Christoph Egerding-Krüger zu verantworten hat. Ihm wird vorgeworfen, dass er in keinster Weise auf die Bedürfnisse seiner Schüler eingehe und – noch viel schlimmer – Gefallen am Mobben habe. Davon seien Schüler und Teile des Lehrerkollegiums gleichermaßen betroffen.
Zahlreiche Eltern würden sich über "geradezu katastrophale Zustände" beschweren. ...
... der Pressesprecher des Regierungspräsidiums. Und wie wird es weitergehen? "Wir befinden uns in einer Phase des Nachdenkens", weicht Weber einer konkreten Antwort aus. Man könne deshalb auch keinen konkreten Zeitrahmen vorgeben, in dem sich die Situation beruhigt und wieder Ruhe an der Schule einkehrt. ...
Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung am 16.10.2008
Lehrer beschweren sich über zunehmende «Klagewut» von Vätern und Müttern
Egal ob es um vermeintlich ungerechte Noten geht, um schlechte Unterrichtsmethoden oder zu viele Hausaufgaben - bei der Schulbildung ihrer Kinder erheben Eltern immer öfter Einspruch. Lehrer beschweren sich über eine wachsende «Klagewut» unter Vätern und Müttern. «Eltern neigen immer mehr dazu, gleich den Anwalt einzuschalten», sagt Ludwig Eckinger, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). ...
Quelle: ad-hoc news am 11.10.2008
Privatschule statt Homeschooling: Nach dreijährigem Streit entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart, dass der Verein der Evangeliums-Baptisten eine eigene Schule betreiben darf. ...  
Nun einigten sich Verwaltungsgericht und Baptisten auf einen Kompromiss: Die Schule soll anerkannt werden, dafür sind die Betreiber an Auflagen gebunden. Ab der fünften Klasse muss die Evolutionstheorie "mit der nötigen Seriosität und dem nötigen Umfang" dargestellt werden, so der Richter. Das pädagogische Konzept muss an die staatlichen Schulen angepasst werden. Außerdem verpflichtet sich die Schulleitung, neue Lehrer einzustellen, deren Qualifikation nachgewiesen werden muss. Ein naturwissenschaftliches Labor und eine Sporthalle sollen zudem eingerichtet werden. ...
Wie "Spiegel Online" berichtete musste etwa ein hessisches Ehepaar mit sieben Kindern bereits für drei Monate ins Gefängnis, weil sie die Schulpflicht ignorierten. In Bayern wurden Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft namens "Zwölf Stämme" zu Beugehaft und insgesamt 130.000 Euro Bußgeldern verurteilt. Mittlerweile dürfen sie eine staatlich kontrollierte "Ergänzungsschule" betreiben, die keinen Sexualkundeunterricht erteilt, und in der die Eltern die Lehrer selbst aussuchen. Als staatliche Auflage müssen Letztere ihre Qualifikation nachweisen. ...
Quelle: Christliches Medienmagazin Pro am 15.10.2008
Von einer Schule zur anderen
Madleen Richter ist Luftakrobatin im Circus Voyage. 16-Jährige macht jetzt ihren Realschulabschluss an der Zirkusschule NRW. "Ich war bestimmt in 600 Schulen" ...
Als Zirkus-"Kind" kommt man rum. "Und das hat mir gut getan, ich bin dadurch sehr aufgeschlossen geworden." ...
"Das letzte Jahr hatte ich einen Privatlehrer und bin gut vorbereitet". Jetzt arbeitet sie mit Laptop, Kopfhörern und Mikro: Jeden Freitag loggt sie sich pünktlich um 10:30 Uhr mit anderen Schülern von irgendwo bei der Zirkusschule ein und arbeitet per Konferenz an den aktuellen Aufgaben. ...
Quelle: Printausgabe Lüdenscheider Nachrichten am 17.10.2008

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