20. April 2008

Zwingt Kinder nicht für gute Bildung in schlechte Schulen!

Jan Edel zu seinem Engagement für Homeschooling-Modelle

Herr Edel, Sie haben viele Jahre Erfahrungen mit Homeschooling und anderen Janaußerschulischen Bildungsmodellen gesammelt. Sie haben einen Verein gegründet. Sie haben Bücher zum Thema geschrieben und viele weitere Texte publiziert. Sie betreiben einen Rundbrief und eine umfangreiche Homepage im Internet. Das alles ehrenamtlich neben Ihrer eigenen großen Familie und Ihrem Beruf als Ingenieur.
Warum das Ganze? Ist es das wirklich wert?
Ja, unbedingt! Denn der Anteil Schüler, die schulbedingt Nachteile erfahren oder sogar Schaden nehmen, ist nicht unerheblich und wächst rasant. Diese Schüler brauchen andere Bildungsmodelle, bessere Passung, intrinsische Motivation, Eigenverantwortung.
Da werden Kinder unerträglich und kaum wiederherstellbar gemobbt, manche haben einfach ganz andere Lernvoraussetzungen, viele begabte Kinder langweilen sich. Nur wenige Schüler merken, wie sie schlicht Marionetten der Lehrplaner, bzw. nur das Schmieröl in der Maschinerie einer Bildungsindustrie sind. Eigentlich kann kein einziges Kind individuell angesprochen werden.
Daneben geht es aber auch um's Prinzip der Freiheit, der Möglichkeiten und Chancen sowie um einen gesunden Gegenpol zum Mainstream. Letztlich ist es meine Bürgerpflicht, auf Missstände, Mängel, Unrecht, aber auch auf erprobte Lösungen hinzuweisen.

Warum überhaupt Engagement für Bildungsmodelle außerhalb des Schulwesens? Es gibt doch genug Schulen und Ihre Kinder gehen doch auch zur Schule.
Naja, die Tatsache, dass die meisten Familien mit dem Schulsystem offensichtlich zurecht kommen oder Alternativen nicht zugelassen werden, sollte nicht heißen, dass dieses System das einzig wahre Bildungsmodell ist. Schulen werden, besonders gründlich in Deutschland, staatlich reguliert und eigentlich politisch beherrscht. Eine Schule mit speziellen, für den einen passenden Konzepten ist für die meisten anderen Schüler am Ort vielleicht eine Katastrophe. Und ganz grundsätzliche Konzepte, die eine individuelle Betrachtung der Schüler im Grunde verhindern, gelten leider für jede Schule. Ich nenne nur Stundenplan, Frontalunterricht, Aufrufen, Zeitliche Festlegungen, Praxisferne, Kategorisierung durch Noten, Gleichheitsdruck usf.
Mit Schule verbinden sich also immer organisatorische Konzepte, die sich fast immer als Nachteile herausstellen müssen.
Es wäre doch beruhigend zu wissen, dass uns Eltern für unsere Kinder alle Türen offen stünden, unter Umständen auch die Ausgänge und die Zugänge zu Alternativen.

Warum engagieren Sie sich nicht innerhalb des öffentlichen Systems? Dann wäre wesentlich mehr Menschen geholfen.
Ein steuerfinanziertes Schulsystem hat immer genügend Lobbys und Untertützer. Ich persönlich habe nicht viel Hoffnung für prinzipielle Veränderung innerhalb des staatlich organisierten Systems. Einfache Familien, die Alternativen wünschen oder brauchen, haben hierzulande bislang nie wirklich Rechte zugestanden bekommen, obwohl sie es sind, die die Gesellschaft ausmachen. Sie sind es, die am Ende für die in ihnen aufwachsenden Kinder zur Verantwortung gezogen werden und die ihre Kinder am besten kennen und verstehen. Ein Schulsystem, auch noch staatlich einheitlich dominiert, als einziges Bildungsmodell, kann nur eine Sackgasse sein. Also: Eltern mit ihren Kindern an die Macht! Als nächster Schritt sollte in Deutschland wenigstens der Weg des Fernlernens frei werden. Darum kümmert sich aber niemand.
LETZTE KONSEQUENZ: HOMESCHOOLING

Ist ein variantes Bildungssystem nicht immer ungerechter als ein homogenes Schulsystem?
Was ist denn gerecht? Viele Kinder müssen in Schulen versagen, obwohl sie fantastische Talente haben. Ist das gerecht, wenn sie alle auf den gleichen Baum klettern müssen oder alle über den gleichen Kamm gebürstet werden? Das Gießkannenprinzip jedenfalls ist ungerecht, weil ihm die Pflanze in seiner Art völlig egal ist. Dagegen halte ich Wahlfreiheit und Angebotsvielfalt für gerechter. Nur in Deutschland fährt man an diesem Punkt immer noch so dermaßen ideologisch und absolut ab.

Wird Bildung durch private Möglichkeiten wie Homeschooling nicht der demokratischen Gestaltung entzogen?
Im Gegenteil: Ohne freie Wahl und genügend Alternativen innerhalb und außerhalb des Schulsystems hat Demokratie erst gar kein Chance. Wir in Deutschland haben uns meinem Empfinden nach zu sehr an die Unterordnung unter die jeweils gerade regierungsamtlich vorgegebenen Marschrouten gewöhnt, statt nationalistische, kapitalistische oder kommunistische Zentraldiktate im Bildungswesen zu bekämpfen. Das hält man dann in sozialistischer Weise für Demokratie. Aber Bildungschancen sind weder auf den staatlichen Rahmen im Schulwesen noch generell auf ein staatlich oder privatwirtschaftlich geführtes Schulsystem beschränkt. Der Weg zu diesen Erkenntnissen ist gerade in Deutschland kein leichter. Selbst die 68er Kulturrevolution vermochte nicht das staatliche "Verschulungsmonopol" abzubauen. Statt das Bildungswesen zu befreien wurde das Schulsystem ideologisch missbraucht (siehe "Marsch durch die Institutionen").

Warum außerschulische Bildung? Es gibt doch auch Privatschulen. Gibt es nicht eine vielfältige Schulversorgung?
Geringfügig andere pädagogische Konzepte sind geografisch zufallsverteilt und nicht etwa dort, wo sie sich günstig auswirkten oder auch finanziell erreichbar sind.
Wenn sich eine Schule in Freiburg auf Legastheniker spezialisiert, ist den 5.000 Hochbegabten in Mecklenburg Vorpommern oder den 10.000 verschieden Lernbeeinträchtigten rund um Hamburg noch lange nicht geholfen. Ein pauschales Schulsystem steht in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Bedarf oder zu dem Wunsch zur Inanspruchnahme, zumindest aus Sicht ihrer Schüler. Eine auf jede Person abgestimmte Passung oder ein individuelles Lernkonzept kann keine einzige Schule bieten. Beziehung und emotionales Erleben als pädagogische Grundvoraussetzung schon gar nicht. Deshalb ist Homeschooling weltweit für viele Familien die letzte Konsequenz.

Wenn der Staat nicht Hoheit über die Bildung haben soll, warum sollten die Eltern sie haben?
Weil sie ihre Kinder am besten verstehen und weil sie in der Regel am Ende sowieso zur Verantwortung für ihre Kinder gezogen werden. Der Staat muss dagegen zusehen, dass das kostenlose "Beschulungsgrundangebot" einen inhaltlichen Rahmen hat, in der dann das Ergebnis möglichst nahe an individuelle Bildung herankommt und jeder wahlfreien Zugang dazu bekommt. Manche bildungsbewußte Familie aber will sich nicht durch die Schule ihr Familienleben versauen lassen, wenn sie die Schule als interferierend empfindet.
60 Jahre staatliches Beamtenschulwesen haben mir bewiesen, dass die eigentlichen Bildungsbedingungen aus sich selbst heraus nicht wirklich reformiert bzw. von Begrenzungen befreit werden können. Niemals wird eine Kultusministerkonferenz mit seiner ganzen "Bürokratur" den in den Dreck gefahrenen Karren mit Bordmitteln heraus ziehen können. Die ständigen Rufe nach immer mehr Staat und Ermächtigung halte ich daher für völlig kontraproduktiv.

Warum können denn Ihrer Meinung nach nicht z.B. kleine Gemeinschaftsschulen die Lösung sein?
Strukturelle Änderungen innerhalb eines exklusiven Schulsystems können eventuell Rahmenbedingungen verbessern, aber niemals die individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler ändern. Durch strukturelle Änderungen wird nur der Rahmen pauschal für alle verändert und keineswegs individualisierend verbessert. Wenn ich Bildung für alle gleich mache, werden die Menschen zwar konformer, aber Chancen und Talente gehen dabei baden. Sowenig, wie man nicht alle zentral ernähren kann, darf man auch Bildung nicht vorkauen und allen aus zentraler Hand vorsetzen. Wo kämen wir hin, wenn alle nur Reis und mit Stäbchen essen oder nur Cola, und zwar durch Strohhalme trinken müßten?
Die Gesamtschule wird jedenfalls mehr ideologischer Kampfbegriff als Bildungsmodell bleiben, solange bis der Staat seine ganzen, über die Jahre gehegten Ansprüche an die Bildungshoheit komplett zurückgenommen hat und von seiner Bildungsplanwirtschaft abläßt. Das wäre die vordringlichste Aufgabe der Politik an dieser Stelle. Loslassen, lösen, sich immer mehr zurücknehmen können.

Was stört Sie am guten deutschen Schulwesen?
Dass es fremdbestimmt für alle gleich ist - gleich schlecht. Es ist optimiert für flächendeckende Beschulung, nicht aber zum aktiven Bildungserwerb. Und mich stört, dass man hier offenbar gesetzlich gezwungen wird, es auf Gedeih und Verderb in Anspruch zu nehmen. Beim Gedanken an bessere Bildung hat die jeweilige Regierung immer nur Schule, seine Struktur und mehr Beschulung im Sinn, während Eltern ohnmächtig zusehen müssen, wie ihre Kinder nach Erfahrungen, nach Leben und nach Beziehung schreien. Im Sinne der Kinder kann das staatlich gelenkte Schulsystem also nur durch einen systematischen Rückbau verbessert werden. Lernen braucht Freiheit und Demokratie braucht Eigenständigkeit, Vielfalt und Auswahl. Stattdessen bestehen die politischen Kochrezepte nur aus der ständigen Erweiterung erzwungenen Schulbesuchs, in den Nachmittag hinein oder durch Ausdehnung der Schuljahre im Vorschulbereich.  Aber durch den zunehmenden Funktionsdruck, fernab von echtem Leben, werden jedenfalls nur die letzten Reste unbeschwerter Kindheit entrissen - ohne wahren Vorteil. Regierungs- oder sogar mehrheitsbestimmtes "Schulnutzungsdiktat" kann Entfaltung nur behindern, ist für viele Familien fatal und für eine freie Gesellschaft unerträglich.

Wie könnte eine Lösung für die Klientel aussehen, die Sie vertreten?
Was die Franzosen, Russen, Engländer und alle anderen Menschen in freien, demokratischen Staaten haben, sind natürlich die Möglichkeit zu allen erdenklichen Bildungsmodellen, die Kinder und ihre Eltern frei wählen können. Durch staatlich zertifizierte Reifeprüfungen können, wie in der weiteren Bildungsbiografie, Qualifikationen erworben werden. Viele Universitäten und auch Ausbilder haben bereits ihre eigenen Aufnahmebedingungen, weil Schulabschlüsse schon von Schule zu Schule nicht mehr vergleichbar sind und weder Talente, Interessen noch Neigungen der Bewerber richtig wiederspiegeln.
Es bestehen die Möglichkeiten der Gemeinschaftsschule, der Reformschulen, aber auch z.B. von Fernschulen, Korrespondenzschulen, demokratischen Schulen, aber auch von kompetenten Elterninitiativen oder der Autodidaktik. Es gibt wirklich unabhängige Schulen mit unkonventionellen, eigenen und individuellen oder mit konservativen Konzepten. Wenn die Schule mit dem geeigneten Konzept zu weit entfernt liegt, tut man sich mit Nachbarn zusammen und wählt ein Homeschooling-Modell. Allein wenn wir in Deutschland die Möglichkeit des Fernunterrichts hätten, könnten sehr viele Probleme deutscher Schulbildungspraxis aufgelöst werden.GibNiemalsAuf

Die Befürworter von Bildungsfreiheit werden zwar etwas zahlreicher. Sie scheinen aber noch weniger Erfolg zu haben als Privatschulgründer. Was soll also Ihre Arbeit?
Allein, um die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten in allen anderen Ländern aufzuklären, lohnt sich die Mühe, derart dicke Bretter zu bohren. Mein Wissen um den rechtlichen und vor allem um den guten Bildungserfolg in anderen Ländern, darunter auch in den ehemaligen Ostblockländern, ermutigt mich dazu, keine Gelegenheit auszulassen. Irgendwann wird man auch hierzulande erkennen, dass Bildungsfreiheit neben ganzheitlicher Bildung auch die Freiheit und Entlastung für Familien bedeutet, für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern.
(Das Interview führte Lisa Panne für die SDA.)

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