29. Februar 2008

Ein Schritt zur Anpassung des Deutschen Erziehungs- und Bildungswesens an die Menschenrechte

Prof. Dr. Franco Rest, Erziehungswissenschaftler und Ethiker, Dortmund

Deutschland setzt als eine der letzten Nationen und gleichwertig den totalitären Regimen und in Missachtung der Errungenschaften der Menschenrechte und des Schutzes menschlicher Persönlichkeit den unveräußerlichen Rechten der Kinder und ihrer Eltern einen „Schulzwang“ entgegen, der dazu verleitet, die Würde des kindlichen Menschen und seiner Eltern ggf. zu missachten und sogar gezielt zu verletzen. Dieser Tatbestand wird offensichtlich im Umgang der Kultus- und Schulbehörden mit dem in nahezu allen zivilisierten Ländern möglichen und in Deutschland verbotenen „Homeschooling“, d.h. der Erfüllung des Rechts auf Bildung und Unterricht durch familiäre, also „unschulische“ Erziehung und durch Privatunterricht.
Erklärung der UN zu den Rechten der Kinder
Aus den Erfahrungen des II. Weltkriegs (einschl. des nationalsozialistischen Schulzwangs, mit welchem die Kinder der schulischen = staatlichen Indoktrination zugeführt werden sollten) heraus formulierte die XIV. Vollversammlung der Vereinten Nationen 1959 ihre „Erklärung über die Rechte der Kinder“. Darin heißt es im 7. Grundsatz:
Das Kind hat ein Recht auf Unterricht... Es soll einen Unterricht erhalten, der seine Allgemeinbildung fördern und ihn auf der Grundlage gleicher Möglichkeiten befähigen soll, seine Begabung, sein Urteil, sein sittliches Empfinden und sein soziales Verantwortungsgefühl zu entwickeln und ein nützliches Glied der Gesellschaft zu werden. Das Wohl des Kindes soll leitender Grundsatz derer sein, die für seinen Unterricht und seine Erziehung verantwortlich sind; diese Verantwortung liegt an erster Stelle bei den Eltern. Das Kind soll alle Gelegenheiten zu Spiel und Erholung haben, die zu denselben Zielen wie der Unterricht gelenkt werden sollen. Die Gesellschaft und die öffentlichen Autoritäten sollen sich bemühen, den Genuss dieses Rechtes zu fördern.
Diesem Grundsatz widerstreiten die Deutschen Schulgesetze in allen Bundesländern und vor allem eines der neuesten Urteile des Bundesgerichtshofes (BGH) fundamental. Sie verstoßen damit bewusst und wider besseres Wissen gegen die Menschenrechte des Kindes und seiner Eltern, wie sie im Gegensatz zum „Schulzwang“ der Schulgesetze sogar im Deutschen Grundgesetz verankert sind, nämlich der „Unantastbaren Würde des Menschen“ und der „Freien Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Dies zu erläutern ist Aufgabe dieser Stellungnahme.
Die UN sagt in der o.a. Erklärung ausdrücklich, „bei der Verabschiedung von Gesetzen solle die beste Wahrnehmung der Interessen des Kindes der oberste Gesichtspunkt sein“ (2. Grundsatz), damit es sich „körperlich, seelisch, moralisch, geistig und sozial gesund und normal in Freiheit und Würde entwickeln kann“. Hier ist nirgends davon die Rede, dass nur die Schule diesem Anspruch genügen könne. Im Gegenteil: Von Schule ist überhaupt nicht die Rede; vielmehr spricht die UN einen ebenso vieldeutigen wie treffsicheren Grundsatz dadurch aus, dass sie sagt: Das Kind solle „in keiner Weise Gegenstand des Handelns sein“ (9. Grundsatz). Das kann ja wohl nur bedeuten, dass es nicht „Objekt einer Beschulung“, sondern immer nur und ausschließlich zusammen mit seinen Eltern „Subjekt der Erziehung“ sein soll.
Schließlich unterstreicht die Erklärung der UN diese Grundsätze durch Hinweise auf das Wie und die Methode der Wahrung dieser Menschenwürde. Die schreibt: Zur „vollen und harmonischen Entwicklung seiner Persönlichkeit“ (Vgl. GG Art.2 Abs. 1) brauche „das Kind Liebe und Verständnis. Es soll, wenn immer möglich, in der Sorge und Verantwortung seiner Eltern aufwachsen und in jedem Fall in einer Atmosphäre der Liebe und der sittlichen und materiellen Sicherheit; ein Kleinkind soll, außer in Ausnahmefällen, nicht von seiner Mutter getrennt werden.“ Der Entzug der Personensorge der Eltern zur Durchsetzung des Schulzwangs in Deutschland widerspricht in jeder Hinsicht diesen Grundsätzen. Es ist in jeder Hinsicht unverantwortlich und ein Verstoß gegen die geschützte Würde der Kinder und ihrer Eltern, was z.Zt. (bzw. seit 1938) in Deutschland geschieht.
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Bildungsanspruch Deutscher Verfassungen am Beispiel Nordrhein-Westfalen
Wer nach verfassungsgemäßen Prüfkriterien für eine soziokulturelle, humanökologische und menschengemäße Mindestbildung sucht, sollte die „Verfassungen“ der deutschen Bundesländer daraufhin wirklich einmal lesen. Dort heißt es (hier am Beispiel des größten Bundeslandes, Nordrhein-Westfalen) wörtlich: „Erfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung. Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung“ (Art 7). Jedes einzelne Wort sollte sich m.E. den politisch und den pädagogisch Verantwortlichen langsam auf der Zunge und im Geiste verwurzeln. Jede Pädagogik, die diesem Anspruch nicht gerecht zu werden versucht, sollte als verfassungswidrig bezeichnet werden. Hier steht nichts von Leistungsmessungen und Zwängen aller Art, sondern von Demokratie und Freiheit, nichts von Sorgerechtsentzügen zur Durchsetzung von Schulzwang, sondern von Menschlichkeit, usw. Und deshalb münden die Formulierungen der Verfassung in den nächsten Satz: „Jedes Kind hat Anspruch auf Erziehung und Bildung. Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens“ (Art. 8). Alles Weitere hat diesem Verfassungsauftrag zu folgen.
Deshalb hat nunmehr eine Bundesweite Initiative die Aufgabe übernommen, die politischen Verantwortungsträger durch eine angemessene Grundgesetzänderung den Widerspruch zwischen Art. 6 (Elternrecht) und Art 7 (Schulaufsichtsrecht) aufzuheben und das deutsche Erziehungs- und Bildungswesen von seiner faschistischen Vergangenheit zu befreien bzw. den Ansprüchen einer demokratischen Gesellschaft der Neuzeit anzupassen. Dies soll vor allem auch deshalb sichergestellt werden, damit Deutschland in den Reigen der europäischen demokratischen Länder auch bezüglich seines Erziehungs- und Bildungswesens passt und nicht mehr eigene Bürger zur Auswanderung zwingt, damit diese sich instand gesetzt sehen, ihren Kindern entsprechend ihrem „natürlichen Recht“ und ihrer „zuvörderst obliegenden Pflicht“ das ihrer Ansicht nach Beste zu geben.


Quelle: Skript eines 13-seitigen Vortrags, gehalten Anfang Februar 2008 an der "University of applied sciences and arts" in Dortmund
Das gesamte Skript liegt unter http://www.homeschooling.de/studien.htm.

Zum Autor: geb. 1942 in Italien; Studium der Erziehungswissenschaften, Theologie, Philosophie, Kunstgeschichte, Archäologie in Münster, Würzburg, Freiburg/Br.; Volksschullehrer, Gymnasiallehrer, Lehrer in Beruflicher Bildung; Professor für Erziehungswissenschaften, Sozialphilosophie/ Sozialethik an der Fachhochschule Dortmund (University of applied sciences and arts), Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften; 1980 Promotion zum Dr. päd. (Dr. der Erziehungswissenschaft) an der Universität Münster; seit 1973 Forschungen Sterbeerziehung, Friedenspädagogik, Waldorfpädagogik (5 Jahre Unterrichtstätigkeit), Sterbebeistand, Medizinische Ethik, Thanatologie, Pflegewissenschaft, Philosophie und Ethik mit Unterstützung der Landesregierung NRW, der Stiftung Volkswagenwerk, der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW u.a.; Berater der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zum Auf- und Ausbau der ambulanten und stationären Hospizdienste; seit 2000 Mitglied Ethik-Arbeitskreis d. Deutschen Alzheimer Gesellschaft, Berlin; 2002-2005 Prorektor für Studium, Lehre, Studienreform, Evaluation und Weiterbildung der Fachhochschule, Dortmund; seit 2003 wissensch. Direktor der „Dietrich Oppenberg Akademie für hospizliche Bildung und Kultur“, Essen; 2006 Landesverdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen; 2006 Forschungspreis der Fachhochschule Dortmund zur „Hospizforschung“; ca. 280 Publikationen.

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